Herta im Seniorenheim

Hunde sind die beste Therapie

von Tanja Neuburger


 

Unser Leben hat sich in den vergangenen Jahren grundlegend geändert. Mein Vater hat Alzheimer und diese tückische Erkrankung hat unser aller Leben komplett durcheinander gewirbelt. Oben drein ist dann auch noch unser erster Gos Paule (Amigo Paule von den Hexen) im Oktober 2018 ganz plötzlich gestorben. Und nichts ist mehr, wie es einmal war. Außer meine Herta, sie ist unser Fels in der Brandung. Sie ist Therapie und Rettungsanker zugleich. Und das obwohl die Herta alles andere als ein sicherer Hund ist. Mittlerweile lebt mein Vater in einem Seniorenheim und wir zwei, die Herta und ich, gehören dort quasi schon zum Inventar. Mindestens zweimal, manchmal dreimal die Woche sind wir dort. Und wie so ein kleiner wuscheliger und bellfreudiger Hund das Leben von uns und auch von den Menschen dort im Heim immer wieder zum Strahlen bringt, das möchte ich euch heute in ein paar wenigen Episoden erzählen. Diese Geschichte wird dabei aber mit nur wenigen Bildern bestückt, denn ich möchte und muss die Privatsphäre dieser Menschen, von denen ich heute erzähle, schützen. Doch glaubt mir, die Geschichten sprechen für sich.Da waren wir also, die Herta und ich, als mein Papa Ende Mai dieses Jahres ins Seniorenheim einzog. Er war damals schon schwer krank. Er saß seit kurzem im Rollstuhl und das war bereits die erste Herausforderung für Herta. Rollstuhl kannte sie nicht. Und was Herta nicht kennt, findet sie zunächst so schrecklich, dass dieses so schreckliche „Was weiß ich auch immer“ verbellt und verbellt und verbellt werden muss. Also leihe ich mir so ein Teil aus und fahre einen Tag lang damit in der Wohnung umher. Zunächst fand sie das Teil gruselig. Doch nach einem Tag hatte sie sich daran gewöhnt und ich konnte es wagen. Herta und ich marschierten also ins Seniorenheim. Und was dort dann mit diesem häufig so unsicheren Hund passierte, konnte ich kaum glauben. Okay, Rollstuhl kannte sie ja jetzt. Check. Auch fremde Menschen im Rollstuhl waren in Ordnung.

 

 

Mein Papa im Rollstuhl – auch okay, den kannte sie ja. Seltsame Geräusche – und die gibt es in einem Heim, in dem Menschen mit Demenz und Alzheimer leben zu Hauf – fand sie auch okay. Immer wieder der Blick zu mir. Wenn Tani das als „in Ordnung“ einstuft, dann passt es auch für Herta. Puh. Die erste Hürde war geschafft. Und viel mehr noch. Mit jedem Besuch im Heim wurde Herta sicherer und sicherer. Die Frau mit dem Rollator, die sich immer unbändig freut, wenn sie meine Herta sieht und ganz ungestüm auf Herta einstreichelt, die war und ist völlig okay für mein Wuschelgetier.

 

Mittlerweile rennt Herta jedes Mal, wenn wir die Dame sehen, freudig auf sie zu. Trotz Rollator, denn den kannte Herta bislang auch nicht. Und einen Rollator hatte ich nicht zuhause zum Üben. Aber alles okay. Gruselig war hier nix. In der Demenz-WG, in der mein Vater jetzt lebt, freuen sich auch die meisten wie Bolle, wenn die Herta kommt. Fast jeder will den Hund streicheln. Da ist die Dame, die immer unruhig umherläuft. Kaum eine Minute kann sie stillsitzen. Doch wenn sie die Herta sieht, hält sie inne, bückt sich hinunter zum Hund und streichelt und streichelt und streichelt und streichelt. Was in ihrem Gesicht dann passiert ist wirklich unglaublich. Die stoische Miene erhellt sich und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Dann läuft sie weiter. Immer im Kreis um den großen Tisch herum. Kommt sie erneut an der Herta vorbei, dann hält sie an, streichelt kurz durchs Fell und marschiert weiter. Herta findet das Spiel mittlerweile fast lustig und wartet schon darauf, dass die Dame wieder vorbeikommt.

 

Oder der Mann im Rollstuhl, der den Anschein macht, als bemerke er gar nicht, dass wir kommen. Doch dann, wenn die Herta in seiner Nähe ist, hebt er die Hand. Herta bemerkt das sofort, dreht ein und läuft dem Mann quasi unter die Hand, so dass er sie nur noch auf Hertas Rücken legen muss und sie dann streicheln kann. Dieses kleine Zwischenspiel passiert meistens fast unbemerkt und dauert auch immer nur ganz kurz. Doch die Zwei, Herta und der alte Mann im Rollstuhl, haben ihren Begegnungsrhythmus gefunden.

 

Und dann ist da noch die freundlich Frau, die so gerne bunte Farben mag und Hunde offensichtlich liebt. Aufgrund ihrer Demenz lernen wir uns bei jedem Besuch neu kennen. Immer wieder dieselben Fragen. „Gehört dir der Hund?“ Wie heißt der Hund und wie alt ist er?“ Gerne beantworte ich all die Fragen immer und immer wieder. Solange wir reden, streichelt sie die Herta und die Herta genießt die Aufmerksamkeit. Ab und an erinnert sich die Frau aber doch an uns. Dann kann ich manchmal gar nicht so schnell schauen, wie sie mir die Leine aus der Hand nimmt und mit der Herta spazieren gehen möchte. Na gut, dann laufen wir halt gemeinsam ein Stück, bis sie mir irgendwann die Leine wieder gibt. So lange ich in der Nähe der beiden bleibe, trabt die Herta auch gerne mit.

 

Und wenn ich dann tatsächlich einmal ohne Herta ins Heim komme, ja dann wird sie mittlerweile schon vermisst. Vermutlich mehr als ich :-). Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass der Gang dieser Senioren unsicher ist, für einen Hund sogar seltsam. Sie kommen in kleinen Tippelschritten daher, manchmal stark nach vorne gebeugt und geben bisweilen seltsame Laute von sich. Eine Dame sagt unaufhörlich Hilfe, Hilfe, während eine andere immer wieder den Mund zu einem Hasenschnäuzchen formt und Geräusche macht wie eben ein kleines Häschen. Wieder ein anderer haut immer mal wieder ganz unvermittelt dafür aber heftig auf den Tisch. Herta hätte noch vor ein paar Wochen mit Mega-Gebell auf all das reagiert. Heute ist es für sie fast so normal wie ein Waldspaziergang. Ich bin mir sicher, sie spürt, dass diese Menschen ihre Nähe brauchen und sie ist mehr als bereit dazu, diese Nähe auch zu geben.

 

 

Bei meinem Papa ist die Herta natürlich ganz besonders feinfühlig. Mit ihm verbindet sie eindeutig mehr, als mit all den anderen Bewohnern im Heim. Er ist ihr Herzblatt. Wenn ihm jemand (in ihren Augen) zu nahe kommt, dann huscht ihr doch mal ein Beller über die Lippen. Und wenn es ihm nicht so gut geht, dann liegt sie ganz nah an ihn ran. Direkt an seinen Rollstuhl oder die Füße oder am besten, auf seine Füße drauf. Und mein Vater lässt es zu, weil es vermutlich in diesem Moment genau das ist, was er braucht: Liebe, Wärme, Nähe und Vertrauen.Ich bin so stolz auf mein kleines Monster, wie sie sich auf das Abenteuer Seniorenheim mit mir eingelassen hat. Wie sie ihre Unsicherheit beiseite lässt und ganz auf mich vertraut, wie sie die Schwingungen der alten Menschen empfängt und auch mal einen unbeholfenen Streichler oder ein seltsames Geräusch über sich ergehen lässt. All das lässt mich erahnen, was für eine wertvolle Aufgabe Therapiehunde in solchen Einrichtungen übernehmen und was sie für diese alten und kranken Menschen bedeuten. Ein Therapiehund mit offizieller Ausbildung wird aus der Herta wohl nicht mehr werden, aber das braucht es auch nicht, denn wie wertvoll ihre Besuche nicht nur für meinen Vater sind, das erlebe ich mit jedem Tag im Heim – live und in Farbe und mit jedem Lächeln in den Gesichtern dieser wundervollen alten Menschen...